Vom Karpfen und der Forelle. Ein Märchen 

 

 

 

Es gab einst einen dunklen, friedlichen See. Knorrige Bäume säumten sein Ufer, breiteten schützend ihre dichten Zweige über ihm aus und behüteten seine stille Oberfläche vor peitschendem Regen und wilden Stürmen.

 

Dort lebte ein Karpfen. Viele Hundert Jahre war er schon alt – das fühlte er. Sein Rücken war zärtlich von grünem Moos bedeckt worden… Das von der Sonne aufgewärmte Wasser strich sanft über seinen Leib, wenn er bedächtig durch sein dunkles, tiefgrünes Reich schwamm. Er war der einzige Bewohner des kleinen Sees und wurde deshalb nicht abgelenkt von seinen Gedanken, die er sich über die Welt und das Leben machte. Früher war es wohl einmal anders. Er erinnerte sich manchmal daran, Gefährten gehabt zu haben und auch daran, wie es war, als er noch nicht in diesem See sein zuhause gefunden hatte. Er wusste, etwas war anders – aber es waren Erinnerungen, die zu leben ihm fremd geworden waren.

 

Manchmal stiegen ein paar Luftblasen aus seinem Maul an die Oberfläche des Sees und wenn ein Mensch zufällig in diesem Moment in seiner Nähe war, so überkam diesen ein seltsamer Zauber.

 

Denn jedes Mal, wenn die Blasen sanft glucksend zerplatzten, offenbarte sich demjenigen, der sie hörte, eines der Geheimnisse des Lebens und sein Herz wurde berührt. Manche kamen traurig oder zornig, zweifelnd oder innerlich leer, doch wenn sie den See verließen und den unerfragten Antworten des Karpfen gelauscht hatten, war ihnen leicht und froh ums Herz.

 

Auch eine Forelle, die sich mit ihresgleichen unweit des dunklen Sees tummelte, wurde eines Tages, als sie wieder einmal voll Kraft und Übermut in die Sonne sprang und sich dabei glücklich lachend in den hellen Wellen des silbrigen Bächleins spiegelte, der wundersamen Luftblasen, die von Zeit zu Zeit die stille Oberfläche des Sees kräuselten, gewahr. Auch sie lebte schon lange in ihrem Bächlein, dass immer unterwegs war, und dabei nicht vergaß, die sonnenwarmen Kiesel zu küssen, jede Blume auf seinem Weg zu benetzen, sein köstliches Naß an die durstigen Menschen und Tiere zu verschenken, alles was lebt und ihm begegnet mit der Pracht seiner frischen Wassertropfen –funkelnd wie teuerste Brillanten- zu beschenken. Und wie es murmelte, raunte, schäumte – es lehrte sie das ewige Lied des lebendigen Lebens. Wieviel hatte die Forelle – die sich ewig jung zugleich ewig alt fühlte – schon gesehen auf ihrer turbulenten, nie zum Stillstand kommenden Reise! Wie viele Gefahren, wie viele Begegnungen – und sie war glücklich über ihre Lebendigkeit und voller Dankbarkeit an das Bächlein, dass ihm das alles ermöglichte. Manchmal hatte die Forelle Sehnsucht nach Ruhe und Stille, nach Halt. Dann begab sie sich aus der stürmischen Mitte an den Rand um auszuruhen und sie bemerkte, wie all die Gefährten an ihr vorbeischossen und keiner diese Stille mit ihr teilen konnte. Das machte sie traurig. In einem solchen Augenblick hörte sie also, das behutsame Glucksen der wundersamen Wasserblasen. Schnell verließ sie ihren Ruheplatz, schwamm durch die brausende Bachmitte an dessen Ufer, wo ganz in der Nähe der kleine, stille, geheimnisvolle See lag. So etwas hatte sie noch nie erlebt und ihr stiegen Tränen des Glücks in die silbrigen Augen so das sie singen und tanzen musste! Wie berührten sie diese wunderbaren Gedanken, die sie ohne Worte, nur mit dem Herzen verstehen konnte! Und auch der Karpfen wurde auf das kristallene Plätschern, das helle Singen und die Bewegungen aufmerksam und begann, für ihn ungewöhnlich und neugierig, an das Ufer seines Sees zu schwimmen.

 

Ach, was da für ein Fest begann!

 

Die Forelle sang und tanzte zu den immer häufiger aufsteigenden Wasserblasen, deren Glucksen einen dunklen, warmen Klang annahm und auch der Karpfen begann sich behutsam nach der Musik, die das plätschernde Tanzen der Forelle verursachte, zu wiegen. Auch er begann vor Glück zu weinen, den der Gesang und der Tanz der Forelle hatten ihm seine Erinnerungen, seine fast vergessenen Träume und Hoffnungen lebendig gemacht. Sein Tanz wurde immer heftiger, so dass er tüchtig die grüne Stille seines kleinen Sees aufwirbelte.

 

Plötzlich erfasste beide eine so große Sehnsucht nacheinander, dass sie sich mehr als nur im Herzen nahe sein wollten. Und so versuchte die flinke Forelle in den See zu springen und der bedächtige Karpfen schwamm ihr entgegen. Und sie träumten: wie schön wird es sein, gemeinsam durch die sonnengefleckten Wasser zu jagen, wie wunderbar, im dämmrigen Grün nebeneinander zu liegen...

 

Doch da wurde mit einem mal das dunkle Wasser des Sees dicker und trüber als je zuvor und es war, als wolle er alles Fremde ersticken, und das Bächlein verlor seine Fröhlichkeit und wurde zum tosenden Strom, kälter als der kälteste Gebirgsbach.

 

Sie spürten voller Kummer, daß die Forelle in der dunklen Stille des Sees sterben und der Karpfen an den spitzen Kieseln des Baches zerschmettern würde.

 

Sie erkannten ihre Ähnlichkeit mit Tag und Nacht, die sich im kurzen Augenblick der Dämmerung berühren dürfen und doch nicht da sein konnten, wo der andere war.

 

So besannen sie sich darauf, wofür sie von Gott geschaffen worden waren: Die Forelle, das Leben zu feiern und zu verschenken – der Karpfen, um daran zu erinnern. Auch wenn ihnen das Herz schmerzte, nahmen sie Abschied voneinander. Der Karpfen versank wieder schweigend in der stillen Tiefe des grünen Sees, die Forelle jedoch wurde vom Wasser des Baches, dass sich mit ihren Tränen vermischt hatte, eilig davongetragen.

 

Für ewig aber blieben ihre Seelen miteinander verbunden...

 

Und so begegnen sich die beiden manchmal in stillen Mondnächten, der Karpfen schickt zärtlich seine wundersamen Luftblasen über das sanfte Grün des Sees an’s Ufer - der Forelle entgegen - und sie tanzt und sing für ihn das Lied vom Leben , den kühlen Leib bedeckt mit dem Licht des Tages, dem Silber des Wassers, den Tränen der Sehnsucht und den Sternen der Nacht...

 

 

(KK 2015)





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